Geoarchäologische Beiträge zur Landschafts- und Siedlungsforschung
Von Dr. rer. nat. Thomas Schatz
Böden als schützenswerte Archive der Natur- und Kulturgeschichte
Böden entwickeln sich unter dem Einfluss der natürlichen Umwelt und werden vom Menschen verändert. In ihnen finden sich deshalb Spuren der Klima- und der Vegetationsentwicklung sowie der Landnutzungs- bzw. Siedlungsgeschichte, die sich sehr lange erhalten können. Sie bilden damit wertvolle Archive, deren Informationen sich unter geeigneten Bedingungen entschlüsseln lassen. Diese Entschlüsselung geschieht mit unterschiedlichen Methoden, wobei sowohl Archäologen als auch Geowissenschaftler - insbesondere Bodenkundler - beteiligt sind. Dabei unterscheidet sich der Blickwinkel der beiden Disziplinen häufig. Während im Mittelpunkt archäologischer Forschung die Wirkung des Menschen steht, sind es in der Bodenkunde häufig gerade die anderen Einflussfaktoren auf die Bodenbildung, die interessieren. Das zeigt sich auch bei der Feldarbeit. Während der Bodenkundler häufig die Aufnahme eines Bodenprofils an anderer Stelle sucht, weil an dieser der Boden "gestört", also durch menschlichen Eingriff gleich welchen Alters verändert worden ist, endet die archäologische Untersuchung häufig beim "Anstehenden", dem vom Menschen vermeintlich nicht mehr veränderten.
Obwohl bei geoarchäologischen Fragestellungen die disziplinäre Trennung bereits an Bedeutung verliert, ist der Schutz dieser Archive weiterhin disziplinär organisiert. Während unter dem Begriff Bodendenkmal archäologische Werte in Böden seit langem geschützt sind, ergeben sich nun seit 1999 mit dem Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) Möglichkeiten für die Sicherung weiterer im Boden gespeicherter Informationen. In den einzelnen Bundesländern sind deshalb schützenswerte Archivböden benannt worden, sowie Methoden zur Lokalisierung und zur Bewertung dieser Böden vorgeschlagen worden. Für Brandenburg ist eine offene Liste erstellt worden, in der Archive der Naturgeschichte, solche der Kulturgeschichte und als Sonderfall Referenzböden (hier nicht aufgeführt) unterschieden werden (Tab. 1). Alle aufgeführten Böden sind von Bedeutung für Fragen der Geoarchäologie, eine Reihe von ihnen war bereits Gegenstand interdisziplinärer Forschung und steht in direktem Bezug zur Siedlungsgeschichte. (vgl. SCHATZ 2005)
Böden als Archive der Naturgeschichte |
Böden als Archive der Kulturgeschichte |
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Böden auf tertiären Sedimenten |
Naturnahe Moore mit ihren Pollen und Großresten als Archiv der Kulturgeschichte |
Tabelle 1
Liste schützenswerter Archivböden in Brandenburg (Dotterweich/Schmidt 2000)
Beispiele geoarchäologischer Untersuchungen
Das Beispiel Glasow (Uckermark)
Im Zusammenhang mit einer archäologischen Grabung des Deutschen Archäologischen Instituts wurden im Einzugsgebiet einer vorzeitlichen Siedlung geoarchäologische Untersuchungen durchgeführt. Außer bodenkundlich-sedimentologischen Feld- und Labormethoden kamen unterschiedliche Datierungsmethoden (14C-Datierung von Torf und Holzkohle, IRSL-Datierung des Sedimentationszeitpunktes bzw. des Zeitpunkts der letzten Bodenbearbeitung) zur Anwendung.
Das untersuchte Einzugsgebiet befindet sich am Abhang der Oder-Randow-Grundmoränenplatte zur Randowniederung in der südlichen Uckermark nahe des Ortes Glasow und ist 5,5 ha groß. Am Unterhang und bis in die Niederung reichend hat sich das an den Hängen des Einzugsgebiets erodierte Bodenmaterial akkumuliert und einen 0,55 ha großen kolluvialen Schwemmfächer ausgebildet, durch den zwei sich im Zentrum des Schwemmfächers kreuzende Profilschnitte angelegt wurden. Beide Schnitte (Abb. 1, Abb. 2) durchschneiden vertikal die kolluvialen Böden bis auf den präholozänen Untergrund und reichen horizontal nahezu an den Rand des Schwemmfächers.
S-N-Schnitt durch den Schwemmfächer (Zur Legende bitte auf Abb. 2 klicken zur vergrößerten Darstellung)
1: Oberfläche 1935
2: Spur des Dampfpfluges
3: Oberfläche zum Zeitpunkt der Bodenbearbeitung im Spätmittelalter
4: Spätmittelalterliche Hakenpflugspur
5: M2 (12./13. Jahrhundert)
6: M1 (Eisenzeit ~200BC)
In den lehmig-sandigen kolluvialen Sedimenten, die im Schwemmfächerzentrum eine Mächtigkeit von etwa 2 m erreichen, hebt sich über glazifluvialen Sanden eine Abfolge von drei humoseren und deshalb dunkleren Schichten ab (Abb. 1), für die mit Hilfe FTIR-spektroskopischer Untersuchungen (Dr. R. Ellerbrock, Zentrum für Agrarlandschaftsforschung) für die unterste und für die oberste Schicht (M1, M2) eine Entstehung unter Ackernutzung, für den mittleren dunkleren Horizont (M1Ah) unter einem lichten Buchenwald wahrscheinlich gemacht werden kann. 14C- und IRSL-Datierung an einem Befund einer wannenförmigen Grube im Profil, die das älteste untersuchte Kolluvium M1 schneidet datieren dieses in die Eisenzeit (~200 BC).
Die jüngeren Kolluvien lassen sich im Querprofil (Abb. 2) weiter differenzieren. So sind zwei charakteristische Schichtgrenzen nachweisbar, die eindeutig als Pflugspuren identifiziert werden können. Ein Keramikbruchstück und die IRSL-Datierung stellen die ältere in das Späte Mittelalter. Die jüngere, deren Spur eine auffallende Regelmäßigkeit aufweist, kann nach Auskunft des Bewirtschafters einem Dampfpflug zugeordnet werden, der hier 1935 einmalig eingesetzt wurde. Unter Zugrundelegung der jeweiligen Bearbeitungstiefe zeitgemäßer Bodenbearbeitungsgeräte lassen sich über den Pflugspuren die zugehörigen Oberflächen zum Zeitpunkt der Bearbeitung rekonstruieren.
W-E-Schnitt durch den Schwemmfächer (Zur Legende bitte auf die Grafik klicken zur vergrößerten Darstellung)
1: (Starkes) Einzelereignis am Ende des 18. Jahrhunderts
2: (Starke) Einzelereignisse der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts
Eine weitere Differenzierung der Kolluvien ergibt sich aus dem Nachweis von drei sehr starken Einzelereignissen, die sich als relativ humusarme, stark sandige und fluvial geschichtete Sedimente (M3, M5, M7) abzeichnen (Abb. 2). Die Menge des verlagerten Bodens sowie das Material, das bis zu 2 cm große Kiese enthält, belegen extrem starke Niederschlagsereignisse als Ursache. Mit der IRSL-Datierung lassen sich die beiden älteren Ereignisse in das Späte Mittelalter datieren, das jüngere in das 18. Jahrhundert. Bezieht man historische Quellen zu außergewöhnlichen Witterungsereignissen ein, lässt sich die Datierung für die älteren in die 1. Hälfte des 14.Jahrhunderts und für das jüngere an das Ende des 18. Jahrhunderts einengen. Nach den verheerenden Unwettern in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts fiel das Einzugsgebiet wüst, bewaldete sich und wurde wahrscheinlich bis zur erneuten Rodung im 18. Jahrhundert zur Waldweide genutzt. Die zugehörige Oberfläche lässt sich auch hier analog den Pflugspuren rekonstruieren.
Den insgesamt neun differenzierten Kolluvien lassen sich damit einzelne Landnutzungsphasen zuordnen, aus der mittleren Mächtigkeitszunahme in den Profilen und der Fläche des zugehörigen Schwemmfächers die Volumina berechnen und unter Einbeziehung der zeitlichen Zuordnung die Abtragsdynamik graphisch darstellen (Abb. 3). Der episodische Charakter der Abtragsereignisse zwischen den einzelnen Phasen ist durch einen stufenartigen Verlauf der Kurve zwischen den nachgewiesenen Schichtgrenzen angedeutet.
Erosions-Akkumulationsdynamik im Einzugsgebiet bei Glasow seit Beginn der Landnutzung
1: 1935 - 1995
2: ~1800 bis 1934
3: Starkregenereignis Ende des 18. Jahrhunderts
4: Waldweidephase 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts bis 1780
5: Starkregenphase 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts (~30 a)
6: 12./13. Jahrhundert
7: Eisenzeit (~100 a)
Die Graphik zeigt deutlich die hohe Bedeutung des extrem starken Abtrags in Folge der witterungsbedingten Starkregenereignisse in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts und am Ende des 18. Jahrhunderts für die Reliefentwicklung. Während in den Ackerbauphasen der Eisenzeit und des 12./13. Jahrhunderts der Abtrag relativ gering bleibt, nimmt er im 20. Jahrhundert infolge moderner Landnutzungsmethoden sehr stark zu. Eine schneller fortschreitende Zerstörung archäologischer Befunde besonders an den Oberhängen und Überschüttung an den Unterhängen sowie an den Rändern der Talauen ist die Folge. (vgl. SCHATZ 2002a)
Das Beispiel Neuenhagen (Neuenhagener Oderinsel)
Die Umgebung und die Grabungsflächen einer Grabung des Deutschen Archäologischen Instituts (Leitung E. Gringmuth-Dallmer) wurden geoarchäologisch untersucht. Der Fundplatz befindet sich auf der Neuenhagener Oderinsel etwa einen Kilometer nordöstlich von Neuenhagen und 1,5 km südlich des alten Oderarms auf einer leichten Erhöhung in 3-4 m HN am Rand der Aue. Im Rahmen der bodenkundlich-sedimentologischen Feld- und Laboruntersuchungen wurden Keramikfragmente von Chr. Goedicke (Rathgen-Forschungslabor, Berlin) TL-datiert.
Von der archäologischen Grabung wurden auf einer etwa 700 m2 großen Fläche Teile einer früheisenzeitlichen Siedlung der Göritzer Gruppe mit Ofenanlagen, Hausresten, Feuerstellen und Gruben freigelegt, die ganz überwiegend der Besiedlung in Göritz I (S. GRIESA) zuzuordnen sind. Als Besiedlungsdauer ist ein Zeitraum von etwa 100 Jahren anzunehmen, während der die Siedlung aber wohl nie als Ganzes bewohnt war. Im Profil zeichnet sich die früheisenzeitliche Siedlung als eine bis zu 35 cm mächtige dunkel-humose Schicht mit zahlreichen Keramikfunden deutlich ab (Abb. 4). Diese Schicht konnte auch im Bohrgut deutlich identifiziert werden, so dass durch das systematische Abbohren entlang zweier Transekte die Ausdehnung der gesamten früheisenzeitlichen Siedlung in einer Größe von 300 x 500 m erfasst werden konnte.
Früheisenzeitliche Hauptkulturschicht mit Pfostenlöchern und Ausbildung eines GoCv-Horizonts in den liegenden äolischen Sanden
Zusätzliche Einstiche ergaben, dass die im Grabungsbereich aufgeschlossenen flachen Längsdünen unter der früheisenzeitlichen Siedlungsfläche liegen, andererseits aber auch die Kulturschicht übersandet wurde und deshalb Oberflächen auf zwei Niveaus aufweist. Unter der früheisenzeitlichen Kulturschicht wurden weitere ältere Fundhorizonte festgestellt, die aufgrund enthaltener Keramik oder Holzkohle datiert werden konnten und die ebenfalls von Sedimenten überdeckt wurden. Charakteristische Schichtungsverhältnisse lassen Hypothesen zur Nutzung zu. Die Wirkung von Stau- und Sickerwasser veränderte die Sedimente vor allem durch eine ausgeprägte Eisendynamik und ließ in den Sedimenten Bodenhorizonte entstehen. Die vollständige Stratigraphie gibt Tab. 2 wieder.
Schicht |
Sedimenta- |
Boden- |
Anthropogene Eingriffe nach Sedimentation |
|||
---|---|---|---|---|---|---|
10. rezenter Pflughorizont |
äolisch |
Ap |
Acker |
|||
9. grauer, sehr |
äolisch |
AlSw |
|
|||
8. schwach humose |
äolisch |
MfAp |
Acker- oder Gartenland |
|||
7. grauer, sehr |
äolisch |
AlSw |
|
|||
6. früheisenzeitliche |
anthropogen |
fAp |
Siedlungstätigkeit (Gartenland, Auftragsboden) |
|||
5. äolischer Sand |
äolisch |
GoCv |
|
|||
4. graue Schicht |
äolisch |
(Go)Mp |
Acker- oder Gartenland (umgegraben) |
|||
3. Sandpaket mit |
äolisch |
Go |
|
|||
2. humos gebänderte |
fluvial |
MGr |
Acker- oder Gartenland |
|||
1. Geschiebelehm |
glazifluvial |
Gr |
|
Tabelle 2
Stratigraphie der Boden-Sediment-Folge an der Grabung Neuenhagen
Interpretation
Am Grabungsstandort Neuenhagen konnten drei Siedlungsphasen nachgewiesen werden, auf die jeweils kurze Phasen mit mehreren Winderosionskatastrophen folgten. Wahrscheinlich jeweils unmittelbar danach trat das Ende der Landnutzung und der Siedlungstätigkeit ein. Die landschaftsökologischen Wirkungszusammenhänge können für die früheisenzeitliche Besiedlung genauer beschrieben werden:
Im Zusammenhang mit der Anlage der früheisenzeitlichen Siedlung in Göritz I wurden weite Flächen in der Umgebung der Siedlung gerodet und entweder ackerbaulich oder zur Viehweide genutzt. In Folge einer weitflächigen Ausräumung der Landschaft wurde Winderosion ermöglicht und durch mehrere starke Stürme Feinmaterial von den genutzten Flächen im Westen der Neuenhagener Oderinsel sowie wahrscheinlich auch vom ebenfalls besiedelten östlichen Rand der Barnimplatte abgetragen und in den Leelagen der ostbrandenburgischen Platte an den nordöstlichen Flanken der Neuenhagener Insel, wahrscheinlich auch am Westrand des Oderbruchs, flächenhaft und als ausgeprägte Längsdünen akkumuliert. Dabei wurden mehrfach die genutzten Flächen sowie die Siedlungsfläche übersandet. Als Folge wurden Teile der Siedlung aufgegeben sowie wahrscheinlich, um die Bodenfruchtbarkeit auf den hausnahen Flächen zu erhalten, durch die Siedler wiederholt humoses Material auf die unfruchtbaren Sande aufgebracht.
Nach einer Dauer von etwa 100 Jahren wurde die Siedlung von mächtigen Dünen überschüttet und in Göritz II vollständig aufgegeben. (vgl. SCHATZ 2002b)
Literatur
Dotterweich, M., Schmidt R., (2000): Funktionen des Bodens als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte. Teilbericht in: Jessel, B. et al.: Bodenbewertung für Planungs- und Zulassungsverfahren im Land Brandenburg. Bericht im Auftrag des Ministeriums für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg Potsdam, Bd. I/ II
Schatz, T. (2000): Untersuchungen zur holozänen Landschaftsentwicklung Nordostdeutschlands, ZALF-Bericht 41, 201 S., Müncheberg, Dissertation
Schatz, T. (2002a): Glasow, Uecker-Randow-Kreis - 3.3.3.2 Die bodenkundlich-landschaftsökologischen Untersuchungen, in: Gringmuth-Dallmer/ L. Leciejewicz (Hrsg.): Forschungen zu "Mensch und Umwelt im Odergebiet in vor- und frühgeschichtlicher Zeit", Römisch Germanische Forschungen Bd. 60, S. 100-107
Schatz, T. (2002b): Die Neuenhagener Oderinsel, Lkr. Märkisch-Oderland - 3.6.3 Die bodenkundlich-landschaftsökologischen Untersuchungen, in: Gringmuth-Dallmer/ L. Leciejewicz (Hrsg.): Forschungen zu "Mensch und Umwelt im Odergebiet in vor- und frühgeschichtlicher Zeit", Römisch Germanische Forschungen Bd. 60, S. 138-142
Schatz, T. (2005): Ansätze zum Schutz von Archivböden in Brandenburg, in: Fachhochschule Eberswalde; Landesforstanstalt Eberswalde, Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (Hrsg.): 175 Jahre Lehre und Forschung in Eberswalde, S. 212-219
Schatz, T. (2007): Schutz und Bedeutung von Kolluvien als Archive der Kulturgeschichte in Brandenburg, in: Jeute, G. H., Schneeweiß, J., Theune, C. (Hrsg.): Aedificatio terrae. Beiträge zur Umwelt- und Siedlungsarchäologie Mitteleuropas, Festschrift für Eike Gringmuth-Dallmer zum 65. Geburtstag, Internationale Archäologie - Studia honoria 26, Rahden/Westfalen, S. 307-311
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