Inhaltsverzeichnis
- Titelblatt
- Elisabeth Ida Faulstich, Jochen Scherbaum
Vorwort - Thomas Becker
Sinn oder Unsinn?
Erfahrungen mit modernen Prospektions- und Dokumentationsmethoden am Welterbe Limes - Carola Berszin
Anthropologische Qualitätsstandards I:
Die römischen Gräberfelder in Köln - Henning Burwitz, Frank Henze,
Alexandra Riedel
Alles 3D?
Über die Nutzung aktueller Aufnahmemethodik in der archäologischen Bauforschung - Bernhard Fritsch
Computer Vision
Ein Open-Source Verfahren zur fotobasierten 3D-Grabungsdokumentation - Jürgen Giese
Technologiemix im Praxistest: Baudokumentation am Bamberger Dom - Fanet Göttlich
Montanarchäologische Relikte des Altbergbaus in Sachsen - digital dokumentiert - Stefan Hohmann
Möglichkeiten beim Aufmaß zur Dokumentation im CAD - Susanne Jahns, Hans-Peter Stika, Jörg Christiansen, Maria Knipping, Dirk Sudhaus
Zur Bedeutung der Archäobotanik in der archäologischen Forschung - Bettina Jungklaus
Anthropologische Qualitätsstandards II: Von der Ausgrabung zum Bericht - Olaf Prümm, Mustapha Doghaili, Michael Pospiš
Auswertung von 3D-Laserscans in den Bereichen der Archäologie und Denkmalpflege mit LupoScan - Christian Tinapp
Geoarchäologie
Beispiele interdisziplinärer Zusammenarbeit aus Sachsen - Burkart Ullrich, Cornelius Meyer
Effiziente magnetische Prospektion mit Mehrkanalsystemen und dem neuen Digitizer LEA D2 - Richard Vogt
Geomagnetische Prospektion: Wie beeinflussen die Messbedingungen das Ergebnis? - Die Sektion "Geschäftsbereich Archäologie" im Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V.
- Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V.
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Technologiemix im Praxistest: Baudokumentation am Bamberger Dom
Von Jürgen Giese
Für eine umfassende und wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Dokumentation eines Bauwerkes sollten als Basisverfahren - wie auch auf archäologischen Ausgrabungen üblich - die zeichnerische, verbale und photographische Erfassung gleichermaßen eingesetzt werden und je nach Fragestellung durch zusätzliche Untersuchungen ergänzt werden [1]. Innerhalb der drei genannten Basisverfahren nimmt die Erfassung der Bauwerksgeometrien, die üblicherweise als Bauaufmaß bezeichnet wird, aufgrund des dafür nötigen zeitlichen und technischen Aufwandes eine besondere Stellung ein. Dieser Aufwand ist jedoch gerechtfertigt, da das Bauaufmaß eine unverzichtbare Grundlage sowohl für wissenschaftliche Untersuchungen als auch für Planungsarbeiten ist, die etwa Erhaltungs-, Sanierungs- und Umbaumaßnahmen vorausgehen.
An der Universität Bamberg hat daher seit der Einrichtung des Faches Bauforschung und Baugeschichte die Baudokumentation einschließlich des Bauaufmaßes einen hohen Stellenwert in Lehre und Forschung, wo sie beispielsweise am Masterstudiengang Denkmalpflege einen großen Anteil hat. Das Bauaufmaß wird dabei stets als Ergebnis des Zusammenspiels aus "Messen" und "Darstellen" begriffen. Ein sowohl geometrisch korrektes als auch inhaltlich aussagekräftiges Bauaufmaß kann es nur geben, wenn beide Arbeitsschritte nahtlos ineinandergreifen. Alle für die Geometrieerfassung und -darstellung eingesetzten Methoden müssen sich dem Ziel unterordnen, möglichst viele Erkenntnisse über Konstruktion und Oberflächen der untersuchten Bauwerke korrekt abzubilden. Für die Durchführung derartiger Arbeiten ist also der geodätisch fortgebildete Bauforscher oder der bauforscherisch fortgebildete Geodät gefordert, die beide gleichermaßen aus dem genannten Studiengang hervorgehen können [2].
2010 wurde mit dem Projekt "Der Bamberger Dom Digital" ein auf drei Jahre angelegtes Vorhaben gestartet, in dem die vorhandenen Kompetenzen genutzt und der oben genannte Anspruch an einem prominenten Beispiel demonstriert werden [3]. Ziel des Projektes ist es, eine vollständige Geometrieerfassung des Bamberger Domes zu leisten, der sein Schicksal mit vielen anderen bedeutenden Zeugnissen der Baukunst teilt: Für die Erhaltung ihrer Bausubstanz und ihres kulturhistorischen Zeugniswertes werden von Forschern, Planern und Baupraktikern genaue Planunterlagen benötigt, die das Bauwerk flächendeckend und bauteilgerecht abbilden. Ein derartiges, in Umfang und Detaillierung aktuellen Anforderungen genügendes Planwerk liegt aber weder für den Bamberger Dom noch für viele vergleichbare Bauten derzeit vor. Abhilfe soll das genannte Projekt schaffen.
Am Beginn eines derartigen Projektes steht heutzutage die Wahl des Aufmaßproduktes, bei der aus einem weiten Spektrum von Handzeichnungen bis hin zu digitalen Oberflächen- und Volumenmodellen gewählt werden kann. Hier wurde als Endprodukt die digitale Strichzeichnung aus zweierlei Gründen gewählt:
- Mit den aktuell in Bauämtern, Planungsbüros und Forschungseinrichtungen vorhandenen Kompetenzen und Techniken lässt sich dieses Produkt problemlos und verlustfrei weiterverarbeiten. Der digitale Plansatz erfüllt somit das Kriterium, ein von Beginn an fortschreibungsfähiges Planungsinstrument zu sein, das sowohl Forschungsunternehmen als auch den Bauunterhalt der kommenden Jahrzehnte begleitet und abbildet. Dies hat er - gerade für ein Objekt in der Größenordnung des Bamberger Domes - analogen Strichzeichnungen, Punktwolken und dreidimensionalen digitalen Modellen voraus.
- Gemäß dem Grundsatz, dass ein aussagekräftiges Aufmaß die Konstruktion und Oberflächen der untersuchten Bauwerke inhaltlich und geometrisch korrekt abbilden soll, bedarf das Aufmaßprodukt der Endkontrolle und in der Regel auch Ergänzung durch den Bauforscher. Veränderungen und Ergänzungen sind aber in automatisiert generierten Produkten wie Punktwolken und Oberflächenmodellen schwer vorzunehmen und würden in nur kompliziert handhabbaren Hybridprodukten münden. Bei der Strichzeichnung dagegen werden die mit verschiedensten Techniken ermittelten Geometriedaten in eine einheitliche Darstellung überführt, bei der für das Bauwerksverständnis wichtige Elemente herausgearbeitet und auch oftmals an versteckt liegenden Stellen zu machende Beobachtungen betont werden können. Nur in der Strichzeichnung ist der Bauforscher in der Lage, seine am Bauwerk gemachten Beobachtungen und Erfahrungen ohne großen Aufwand an den Nutzer direkt weiterzugeben.
Obwohl in der digitalen Strichzeichnung stets im Maßstab 1:1 gearbeitet wird, muss im nächsten Schritt ein Zielmaßstab festgelegt werden, der über die zu erreichende Genauigkeit der verwendeten Messungen und die Detaillierung der Darstellung entscheidet. Für die bauteilgerechte Aufnahme von Architektur haben sich seit langem die Maßstäbe 1:20 bzw. 1:25 etabliert, die somit auch die Richtschnur für dieses Projekt bilden. Die Messgenauigkeit ist damit auf eine Standardabweichung von ±5 mm pro Punkt festgelegt, die sich durch die Darstellungs- und Abgreifgenauigkeit analoger Zeichnungen dieser Maßstäbe ergibt. Wie ebenfalls bei analogen Zeichnungen üblich, kann von dieser Standardabweichung in Abhängigkeit von der Bauteilgenauigkeit abgewichen werden. Weniger präzise gefertigte Bauteile wie Bruchsteine erfordern geringere Genauigkeiten, wohingegen die Fertigungspräzision mancher Holz- und Metallbauteile auch eine höhere Messgenauigkeit ermöglicht.
Auf der Seite der Detaillierung wird von den analogen Zeichnungen dieser Maßstäbe der Grundsatz übernommen, dass alle Bauteile einschließlich der Putzkanten und Bauornamentik mit Umriss und Binnenkanten dargestellt werden. Verzichtet wird jedoch auf das bei analogen Zeichnungen übliche Oberflächenporträt der dargestellten Bauteile, also beispielsweise die Werkzeugspuren der Naturstein-, Holz- und Putzbearbeitung. Diese wären zuverlässig nur durch Autopsie und mit gezieltem Streiflicht vor Ort, d.h. in der Regel von einem Gerüst aus zu beurteilen, das aber für den gesamten Bamberger Dom natürlich nicht zur Verfügung steht. Aus Zeitgründen wird auch bei den Ausstattungsteilen wie Orgel, Gestühl und Skulpturen von der Detaillierung abgewichen, die auf eine im Maßstab 1:100 gut lesbare Darstellung hin optimiert ist (Abb. 1).
Abb. 1
Dom zu Bamberg, Ausschnitt des Längsschnittes mit Blickrichtung Norden. Auswertung von Skulpturen und Ausstattung: J. Müller, Auswertung Steinschnitt: G. Kröck, Ergänzung vor Ort: A. Hager. Montage: Jürgen Giese
Für die Geometrieerfassung wird in einem ersten Schritt die Technik des terrestrischen Laserscanning genutzt. Dabei wird besonders im Außenraum ein Laufzeitscanner eingesetzt, da beispielsweise für die Erfassung der Türme Distanzen von über 150 m zu überbrücken sind, um den Messstrahl in möglichst steilem Winkel auf die Fassadenflächen treffen zu lassen. Um bei der späteren Auswertung die geforderte Messgenauigkeit zu erreichen, wird der mittlere Punktabstand auf 3 bis 5 mm festgelegt [4]. Im Innenraum dagegen kommt überwiegend ein Phasenvergleichsscanner zum Einsatz, der hohe Messgeschwindigkeit mit leichter Handhabbarkeit kombiniert. Die Reichweite des Scanners, die vom Hersteller mit 120 Meter angegeben wird, ist für dieses Projekt auf 30 Meter begrenzt, da nur bis zu dieser Distanz ein mittlerer Punktabstand von ≤5 mm erzielt werden kann [5].
Die Orientierung der Scans erfolgt über Referenzpunkte, deren Koordinaten im Festpunktsystem des Domes bekannt sind, das durch geodätische Ausgleichsrechnung mit maximalen Standardabweichungen von ±5 mm bestimmt wurde [6].
Ergänzend zu den Scans werden von allen Wandflächen hochauflösende Digitalphotos angefertigt [7], da die von den scanner-internen Kameras gelieferten Photos aus drei Gründen nicht verwendbar sind:
- Der geforderte Abbildungsmaßstab von 2 bis 3 mm pro Pixel kann gerade bei größeren Entfernungen des Scanners vom Objekt nicht erreicht werden.
- Die separat angefertigte Photographie kann - beispielsweise durch Nutzung von Hochstativ, Hubsteiger und Photo-Drohne (Abb. 2 und 3) - Bauteile zeigen, die im Scanschatten liegen, für die also im Scan keine Daten vorliegen.
- Die für das Photo genutzte Lichtmenge lässt sich gerade im Innenraum durch Hinzunahme von Kunstlicht gezielt steuern, wodurch die Abbildungsqualität gegenüber den scanner-internen Kameras deutlich gesteigert wird.
Diese ersten Arbeiten vor Ort nehmen rund 10 Prozent der Arbeitszeit des Projektes in Anspruch.
Abb. 2:
Dom zu Bamberg, Außenbefahrung mit dem Hubsteiger für die Photodokumentation. Photo: A. Hager
Abb. 3:
Dom zu Bamberg. Befliegung der Fassade des Südwestturmes mit Photo-Drohne. Photo: Jürgen Giese
Im nächsten Schritt werden die orientierten Punktwolken in Kombination mit den externen Photos im Büro in Strichzeichnungen umgesetzt. Dazu stehen verschiedene Wege zur Verfügung. Für alle plastisch hervortretenden Bauteilkanten hat sich die Auswertung ausschließlich in der Punktwolke bewährt (Abb. 4), wobei die zusätzlichen Photos in der Regel auf einem zweiten Bildschirm parallel betrachtet werden, um das ausgewertete Bauteil besser interpretieren zu können. Die Nutzung nur der Punktwolke gestattet es, die Blickrichtung auf diese in zufriedenstellender Geschwindigkeit zu ändern und so Auswertestrategien anzuwenden, die von der Tachymetrie vor Ort vertraut sind. Diese Auswertestrategien sind besonders dann von Bedeutung, wenn Bauteilkanten oder die korrekten Projektionen von Bauteilkanten konstruiert werden müssen, die schlecht erhalten oder unscharf definiert sind. Unabdingbare Voraussetzung für die Erstellung einer aussagekräftigen Strichzeichnung ist die Nutzung eines vollwertigen, d.h. im dreidimensionalen Raum arbeitenden CAD-Systems mit zahlreichen Konstruktions- und Zeichenwerkzeugen. Die Zeichenwerkzeuge, die - wenn überhaupt - direkt in die Auswertesoftware der Scanner-Hersteller integriert sind, sind allenfalls als rudimentär zu bezeichnen und für vollständige Aufmaßzeichnungen ungeeignet.
Abb. 4
Dom zu Bamberg, Adamspforte. Auswertung von Skulpturen in der Punktwolke. Links Ansicht, rechts Aufsicht auf Punktwolke und Strichzeichnung. Auswertung J. Müller. Montage: Jürgen Giese
In einem weiteren Schritt werden die auf durchgehenden Flächen liegenden Bauteilgrenzen ausgewertet, also etwa der Steinschnitt oder Putzgrenzen auf Wandflächen. Für diese Auswertung ist es entscheidend, wie gut der eingesetzte Scanner die Reflektionswerte der angemessenen Oberflächen differenzieren konnte und wie diese, üblicherweise als Graustufen dargestellten Intensitätswerte, am Bildschirm präsentiert werden. Bei dem gewählten Punktabstand von 3 - 5 mm ist allein mit dem Intensitätsbild oft schon eine sichere Identifizierung von Bauteilgrenzen möglich (Abb. 5).
Abb. 5
Punktwolke eines Faro Focus 3D dargestellt in Faro Scene. Mittlerer Punktabstand 5 mm. Montage: N. Wetter
Wenn die Helligkeitsunterschiede zwischen benachbarten Bauteilen jedoch schwach sind, reichen die Intensitätswerte für eine sichere Abgrenzung oft nicht aus. Die Qualität der Intensitätswerte wird jedoch nicht nur durch die unabänderlichen Objekteigenschaften beeinflusst, sondern auch von derzeit bestehenden Software-Schwächen: Gegenüber der Darstellung der Intensitätswerte in der proprietären Scanner-Software gibt es bei der Darstellung im CAD-System oft noch einen deutlichen Qualitätsverlust, der die Auswertung nur anhand von Punktwolken dann ebenfalls schwierig bis unmöglich macht (Abb. 6). Als Ausweg aus diesem Problem bieten sich für die weitere Entwicklung zwei Varianten an:
- Die Darstellung von Punktwolken im CAD-System wird verbessert.
- Es wird eine Schnittstelle zwischen der Scanner-Software und dem CAD-System eingerichtet, mit deren Hilfe man in der Scanner-Software Koordinaten aus der Punktwolke abgreift, die dann an das im CAD-System aktive Zeichenwerkzeug gesendet werden.
Die weitere Software-Entwicklung wird zeigen, welche Variante sich als am besten zu handhabende Variante durchsetzt.
Abb. 6
Punktwolke eines Faro Focus 3D dargestellt in Autodesk AutoCAD. Mittlerer Punktabstand 5 mm. Montage: N. Wetter
Reichen die Intensitätswerte für eine sichere Identifizierung und Abgrenzung von Bauteilen nicht aus, kann eines oder mehrere der ohnehin vorhandenen Photos in das Objektkoordinatensystem hinein orientiert werden. Der Zeichenvorgang erfolgt dann direkt auf einem orientierten Photo, dem als Referenzoberfläche zur Erzeugung dreidimensionaler Koordinaten die Punktwolke hinterlegt ist (Abb. 7). Dieses Verfahren wird auch als Monoplotting bezeichnet. Recht einfach ist es bei diesem Verfahren auch, die genutzte Referenzoberfläche in Bereiche von Scanschatten hinein auszudehnen und so zu einer vollständigen Auswertung zu kommen. Scanschatten sind besonders oberhalb von Sohlbänken und Gesimsen regelhaft vorhanden und dort auch nicht zu vermeiden. Für eine vollständige Erfassung gerade von in größerer Höhe liegenden Bauteilen wird also grundsätzlich die Photogrammetrie benötigt, da nur eine Kamera auf die dann erforderlichen Höhen gehoben werden kann (Abb. 8).
Abb. 7
Kombinierte Auswertung von Punktwolke und orientiertem Photo mit Hilfe von Kubit PointCloud unter Autodesk AutoCAD. Montage: N. Wetter
Abb. 8
Dom zu Bamberg, Turm Südwest. Ansicht des obersten Geschosses von Süden. Photo von Drohne aus, Flughöhe ca. 52 m über Boden. Photo: Jürgen Giese
Das Orientieren von Photos, die in unserem Fall von photogrammetrisch nicht vollständig im Vorfeld kalibrierbaren Kameras stammen [8], kann jedoch eine zeitraubende und damit den Auswerteprozess stark verlangsamende Prozedur werden, bei der 2-3 Stunden pro Photo vergehen können. Dies liegt weniger an der eingesetzten Software, als an einem im Verfahren selbst begründeten Zirkelschluss: Das orientierte Photo wird immer dann interessant, wenn das Intensitätsbild der Punktwolke zur Auswertung nicht ausreicht, gleichzeitig braucht man für die Orientierung 10-15 - bei unzugänglichen Oberflächen durchweg natürliche - Passpunkte. Werden diese Passpunkte aus der Punktwolke gewonnen, so sucht man also präzise definierte Punkte in einem Intensitätsbild, gerade weil man in eben jenem Intensitätsbild nur wenige Punkte präzise erkennen kann. In der Praxis funktioniert die Orientierung zwar meist trotz dieses Zirkelschlusses, aber sie kostet den genannten zeitlichen Aufwand, um die geeigneten Punkte zu finden. Als Alternative steht nur die Einmessung der natürlichen Passpunkte vor Ort mit einem Tachymeter zur Verfügung, für die aber einschließlich Auf- und Abbau sowie Stationierung ein ähnlicher Aufwand zu kalkulieren ist.
Abb. 9
Dom zu Bamberg, Überprüfungs- und Ergänzungsmessungen vor Ort mit Online-Tachymetrie. Tachymeter Leica TS02 in Kombination mit Kubit TachyCAD unter Autodesk AutoCAD. Photo: Jürgen Giese
Die Auswertung von Punktwolken und Photos im Innendienst beansprucht ca. 60 Prozent der Gesamtarbeitszeit des Projektes.
Alle im Innendienst entstandenen Zeichnungen bedürfen im Anschluss der Überarbeitung vor Ort. Dabei werden sowohl falsch interpretierte Befunde korrigiert als auch Erfassungslücken geschlossen. Als Verfahren werden hierfür die Online-Tachymetrie und die Handmessung eingesetzt (Abb. 9 und 10).
Abb. 10
Dom zu Bamberg, Sargwände im Dachraum. Überprüfungs- und Ergänzungsmessungen vor Ort durch Handmessung in schwer zugänglichen Bereichen. Photo: Jürgen Giese
Gängige Fehlinterpretationen in Photo und Punktwolke betreffen beispielsweise die Abgrenzung von Steinoberflächen zu perfekt eingefärbten Putzen oder das Übersehen von Steinmetzzeichen (Abb. 11).
Abb. 11
Dom zu Bamberg, Nordwand des Mittelschiffes, Ausschnitt aus dem Längsschnitt. Links Ergebnis der Auswertung im Innendienst, rechts nach Korrektur und Ergänzung vor Ort, Änderungen sind in rot markiert. Auswertung G. Kröck, Überarbeitung vor Ort A. Hager. Montage:Jürgen Giese
Die wesentliche Arbeit vor Ort besteht jedoch aus dem Schließen von Erfassungslücken. Die durch die Dreidimensionalität der Bauteile erzeugten Scanschatten lassen sich durch eine Vielzahl von Aufstellungen und die beschriebene Hinzunahme der Photos zwar reduzieren, nicht aber restlos beseitigen. Darüber hinaus gibt es in jeder Punktwolke einschließlich der Photos Bereiche, die nicht klar interpretiert werden können und daher auch nicht ausgewertet werden. Die lückenlose Erfassung eines Gebäudes von der Komplexität eines Bamberger Domes allein durch terrestrisches Laserscanning erweist sich spätestens jetzt als Illusion. Lücken und nicht eindeutig auswertbare Bereiche lauern z.B. an Traufen, Sockelzonen, hinter Ausstattungsteilen, Gerüststellungen und Regenfallrohren. Nicht aufzuzählen sind die zahlreichen Problemzonen im Dachwerk, in dem wir von Beginn an auf das Laserscanning völlig verzichtet und allein die tachymetrische und händische Erfassung eingesetzt haben (Abb. 12).
Die im Innendienst nur lückenhaft auswertbaren Bereiche betreffen besonders oft Übergänge zwischen unterschiedlichen Bauteilgruppen, also konstruktiv besonders wichtige Zonen eines Bauwerkes. Um das eingangs genannte Ziel der Erstellung aussagekräftiger und die Konstruktion eines Bauwerkes entschlüsselnder Zeichnungen zu erreichen, ist aber die genaue Beobachtung und Erfassung gerade dieser Zonen entscheidend. Erst die konsequente Befragung der Strichzeichnung auf eine logische und die Konstruktion aller Bauteile richtig wiedergebende Darstellung offenbart die nur durch Autopsie zu behebenden Defizite. Die Korrektur und Ergänzung der Zeichnungen vor Ort erfordert ca. 30 Prozent der Arbeitszeit des Projektes.
Abb. 12
Dom zu Bamberg, Dachraum, Ausschnitt aus dem Längsschnitt. Messung durch Tachymetrie und Handmessung, Darstellung noch ohne Linienstärken und -arten. Aufmaß Büro für Bauforschung Peter Dresen und Büro Geller - Bornschlögl. Montage: Jürgen Giese
Der kombinierte Einsatz von terrestrischem Laserscanning, Photogrammetrie, Tachymetrie und Handmessung für die bauteilgerechte Erfassung eines solchen Großbauwerkes ist ein sinnvoller und effizienter Weg, sofern die Schnittstellen zwischen den Verfahren entsprechend ihrer Effektivität abgesteckt werden . Bei aller Technik darf aber auch nicht vergessen werden, dass der wichtigste Faktor für die Effizienz eines Arbeitsprozesses der Mensch mit seiner Ausbildung und Erfahrung ist. Erst nach einer wirklich soliden Ausbildung und umfangreicher Erfahrung kann es gelingen, die hier umrissenen Technikkombinationen effizient einzusetzen. Durch die Erfahrungen in der Lehre und in diesem Projekt hat sich deutlich gezeigt, dass der Weg zum Erreichen dieser Expertise deutlich erleichtert wird, wenn von der ersten Auswertung der Punktwolke eines Turmhelmes bis zum Eintrag der letzten händischen Messung eines Fensterbeschlages in der Krypta ein und dasselbe CAD-System genutzt wird. Nur wenn zu jedem Zeitpunkt der Bearbeitung alle gewohnten Konstruktions- und Zeichenwerkzeuge zur Verfügung stehen, können die Zeichnungen effizient erstellt werden.
Für die Zukunft ist zu wünschen, dass die Qualität der Darstellung von Punktwolken steigt und der Umgang mit ihnen deutlich flüssiger wird, damit die Befundidentifizierung sicherer wird und die Arbeitsabläufe beim Abgreifen von Koordinaten sich noch mehr dem Abgreifen vor Ort mittels Tachymeter annähern. Mit steigender Rechnerleistung ist zu erwarten, dass die Punktwolken- und Photoauswertung ebenfalls vor Ort stattfinden kann, wo viele Unsicherheiten in der Befundansprache leicht beantwortet werden können und somit zumindest der Schritt der Überprüfung der Auswertung entfallen kann.
Anmerkungen
[1] Zum Spektrum von Baudokumentationen s. J. Giese in: K. Heine / K. Rheidt / F. Henze / A. Riedel (Hrsg.), Von Handaufmaß bis Hightech III (Mainz 2011) 122 f.
[2] Ausführlicher zu den Bamberger Ausbildungszielen J. Giese in: K. Heine / K. Rheidt / F. Henze / A. Riedel (Hrsg.), Von Handaufmaß bis Hightech III (Mainz 2011) 122-130.
[3] Das Projekt wird von den Professuren für Bauforschung und Baugeschichte (S. Breitling) sowie Restaurierungswissenschaften in der Baudenkmalpflege (R. Drewello) in enger Kooperation mit dem Staatlichen Bauamt Bamberg durchgeführt. Die Finanzierung wurde durch großzügige Unterstützung der Oberfrankenstiftung ermöglicht.
Der Autor koordiniert das Projekt und ist für die Qualitätssicherung zuständig. Die Datenerfassung vor Ort und die Auswertung wird von N. Wetter und A. Priesters als wissenschaftliche Mitarbeiter geleitet, denen zahlreiche wissenschaftliche Hilfskräfte zur Seite stehen. Beschäftigt waren und sind H. Al Omar, V. Bauer, S. Bitrian, C. Eckstein, A. Hager, Ch. Henze, C. Kemna, L. Klahr, G. Kröck, Y. Kunisch, E. Micksch, J. Müller, T. Panke, J. Scharf, S. Siebe und K. Vogt. Allen Mitarbeitern sei an dieser Stelle sehr herzlich für ihren Einsatz gedankt.
Durch das staatliche Bauamt Bamberg werden darüber hinaus Teilprojekte an freie Bauforschungsbüros vergeben, die direkt in das Gesamtprojekt einfließen..
[4] Der eingesetzte Scanner ist die Leica Scanstation 1.
[5] Der eingesetzte Scanner ist der Faro Focus 3D.
[6] Für die Erstellung des Festpunktfeldes wurde ein Tachymeter Leica TCRM 1201 in Kombination mit Zwangszentrierungen verwendet. Für die Ausgleichsrechnung wurde das Netzausgleichungsmodul des Programmes Kubit TachyCAD genutzt.
[7] Zum Einsatz kommen Kameras vom Typ Canon EOS 40D und eine Mittelformatkamera Hasselblad H3D-39.
[8] S.o. Anm. 7.
[9] Zum aktuellen Stand der möglichen Schnittstellen und Verfahrenskombinationen vgl. auch die Aufsätze in K. Heine / K. Rheidt / F. Henze / A. Riedel (Hrsg.), Von Handaufmaß bis Hightech III (Mainz 2011).
Text: © 2012 Jürgen Giese
Abbildungen © 2012 Jürgen Giese, wenn nicht anders angegeben